Danke, aus.

April 6, 2009

Das war´s. Wir sind fertig. Wir sind heil und mit nur knapp zwei Stunden Verspätung durch die letzte Nacht gekommen. Ein letztes Mal abends am Set ankommen, sich bei Hermanns Cateringmobil versammeln und sich gegenseitig ein cool-ironisch-wissend-hintergründiges „Guten Morgen“ zuwerfen. Ein letztes Mal Stellprobe, Licht- und Kamera, Probe, Korrekturen, Dreh. Ein letztes Mal Mittagessen um Mitternacht, dann weiter durch die Nacht. Unser letztes Motiv ist ein echter Krankenhausflur, alle sind vorbildlich leise und kommunizieren im Flüsterton, mittlerweile sind alle auch ehrlich erledigt und pennen fast weg, aber wir sind noch nicht fertig, wir drehen, bis der Arzt kommt, in unserem letzten Bild tritt nämlich einer auf – und dann ist auf einmal alles vorbei. Draußen ist es längst hell. Wir stehen im Morgengrauen auf einem nichtssagenden Krankenhausparkplatz und sind zu erledigt, um uns zu freuen, aber auch zu froh, um erledigt zu sein.

Die allerletzte Klappe fällt am darauffolgenden Nachmittag. Kai, der Kameraassistent, und Alex und ich ziehen im ganz kleinen Team nochmal los, um ein paar Totalen der Stadt zu drehen. Auf einer Brücke, irgendwo am Hafen, stehen wir mit unserer Kamera, schwenken mal hier und mal dort hin und sind auf überaus entspannte Art extrem gut gelaunt, und als wir irgendwann die Kamera ausschalten, wird uns klar, daß damit der Film wirklich abgedreht ist. Abends ist dann Abschlußfest, die Ausstatter bringen Injektionsspritzen mit Wodka unters Volk, ich steige auf einen Stuhl und versuche mich an einer spontan improvisierten Dankesrede ans Team, daraufhin müssen der Produktionsleiter und die Produzentin ebenfalls auf denselben Stuhl steigen, Vincent hat einen zehnminütigen Zusammenschnitt geschickt, und wir bekommen zum ersten Mal eine Vorstellung davon, was für eine gewaltige Menge an interessantem Material wir da gedreht haben. Was für ein Aufwand, was für ein Streß, welch riesige Menge an Einsatz und Hingabe und Erschöpfung darin steckt, hat man in dem Moment schon halb vergessen. Und deswegen ist es gar nicht schlecht, daß ich mich öfters mal nachts um fünf noch hingesetzt habe, um diese Texte zu schreiben – denn sobald das Ergebnis vorliegt, hat man meistens den Vorgang, der dazu führte, mehr oder weniger aus dem Gedächtnis radiert. Denn Dreharbeiten sind wie ein Baugerüst, das man wieder wegreißt, wenn das Haus steht. Es bleibt keine Spur zurück, und selbst in der Erinnerung ist es irgendwie weg. Dabei macht die Arbeit auf dem Gerüst, bei aller Anstrengung, einen Heidenspaß. Seltsam ist nur, daß das Endprodukt so flüchtig ist. Bei uns steht eben am Ende kein Haus, sondern ein Film. Wenn wir unseren ganzen Troß in Bewegung setzen, haben wir am Ende des Tages eigentlich nur Datensätze generiert, wir haben die Ausrichtung von magnetischen Partikeln auf einem Bandmedium geändert, wir haben eine Serie von Nullen und Einsen erzeugt. Wir bauen Gegenstände, um ein Abbild von ihnen herzustellen und sie dann wieder einzureißen. Das Endergebnis von monatelanger Arbeit, von schlaflosen Nächten, von hitzigen Drehbuchdiskussionen und vierzig Leuten, die sechs Wochen schuften, paßt dann auf eine runde Scheibe. Die wenigsten Leute machen sich klar, wieviel Hingabe und Leidenschaft und Liebe jeder im Team mitbringen mußte, um den Film so zu machen, wie er ist. Und deswegen bedanke ich mich von ganzem Herzen bei all den Leuten, die dabei waren. Wir teilen alle gemeinsam die Erfahrung, wie es war, auf dem Balkon, auf dem Tetraeder, in den Eingeweiden der Musikhochschule, in nächtlichen Abgründen und insgesamt auf diesem großen, komplizierten Baugerüst namens „Dreharbeiten“ herumzuwandern. Wir haben Papiere fliegen lassen, wir sind ins Eis eingebrochen, wir sind Treppen hinuntergefallen, haben Blumen ausgegraben und eingezäunt, wir wären beinahe in den Himmel gekommen und sind doch wieder auf der Erde gelandet, und wir haben uns gegenseitig alle ziemlich gut kennengelernt. Ich ziehe mich ins Privatleben und in den Schneideraum zurück. Als Blogschreiber bin ich ab sofort wieder hier zu finden. Dieses Tagebuch ist hiermit fürs erste beendet, aber wir werden gelegentlich neue Informationen daraufstellen, wenn wir etwas zu melden haben. Denn der Dreh ist aus, aber der Film geht weiter.

Und jetzt der Abspann. Eigentlich wollte ich jeder Abteilung mal ein Denkmal in Form eines Gruppenfotos setzen, das habe ich aber natürlich nicht hingekriegt. Die Szenenbildner und die Set-AL sind beispielsweise niemals auf einem Haufen zusammen. Deswegen einfach ein paar Bilder mit vielen, aber längst nicht allen Leuten.

Vielen Dank!
Drehschluß.
Auf Wiedersehen.

Sarah Mitter, Szenenbildassistenz - Matthias Lerch, Set Dresser - Christiane Krumwiede, SzenenbildBernadette Reschberger und Elke Hahn, MaskeJacob Ilgner, Ton - Bilge Bingül, TonassistenzSabine Hahn, Garderobe - Anne Schmidt, Kostümassistenz - Juliane Maier, KostümbildJonas Hartung, FahrerAlex Rutkowski, FahrerPouria Rezaei, Set-Al-AssistentSibylle Schuster, Set-Al-AssistenzSven Brinkmann, KamerabühneOberbeleuchter Robert Bergmann und seine Lichtmannschaft: Tobias Gehlfuß, Philipp Schmitz, Urs ZimmermannNhat Phong Tran, Visuelle EffekteMona Christina Schmidt, AusstattungshilfeSabine Steudter, InnenrequisiteKai Lachmann, Kameraassistenz - Johannes Neumann, MaterialassistenzRobert Patzelt, B-Kamera und SteadicamHermann Koenen, CateringDirk Feistkorn, KochEvangelos Grecos, StuntmanAkexander Sass, Kamera - Dietrich Brüggemann, RegieRegina Tiefenthaller, Regieassistenz - Zora Rux, zweite RegieassistenzKaija Hellweg, Script/ContinuityDie Hauptdarsteller: Jacob Matschenz, Robert Gwisdek und Anna BrüggemannFrühling auf der LaderampeDer allerletzte Drehtag

Hier nicht abgebildet und trotzdem voll dabei:

Vincent Assmann, Schnitt.

Martin Frühmorgen, Sounddesign.

Niklas Voigt, SFX.

Michel Krauß, Requisitenfahrer.

Katharina Birck, Ausstattungshilfe.

Dominik Schmitz, Außenrequisite.

Tom Trambow, Standfotograf.

Eugen Hecht und Gil, dessen Nachnamen ich nicht weiß, Kamerapraktikanten.

Doreen Königsmann, Rollstuhlberatung.

Valentin Mereutza, Cellolehrer.

Deborah Congia, Casting.

Lena Nienaber und Anna Jakisch, Set-Aufnahmeleitungs-Assistenz.

Stephanie Konopka, Set-AL.

Markus Zimmer, Location Scout.

Simon Louwen, Motiv-AL.

Kanat Namlisoy, 1. AL.

Iris Karmaat, Filmgeschäftsführung.

Lisa Karmaat, Praktinkantin FGF.

Franz Runge, Produktionspraktikant.

Maria Herpich, Produktionsassistenz.

Lucas Meyer-Hentschel, Produktionsleitung.

Nicht zuletzt natürlich, neben unserem Hauptdarstellertrio, noch einige großartige, inspirierte, wundervolle Schauspieler: Franziska, Weisz, Leslie Malton, Heiner Hardt, Michael Sens, Alexander Hörbe, Jörg Bundschuh, Arne Gottschling, Daniel Drewes, Amelie Kiefer und Christian Ehrich. Und schließlich Konstanze Altgelt, die hier zum ersten Mal vor der Kamera stand und eine winzige und doch sehr gewichtige Rolle gespielt hat.

Außerdem natürlich die ganze Mannschaft von Wüste Film, nämlich Ralph Schwingel und Stefan Schubert und Uwe Kolbe und Anja Padge und Yildiz Özcan und ganz besonders, allen voran, in riesengroßen Lettern: Sabine Holtgreve, ohne die all das niemals passiert wäre.

Und dann die Redakteure: Stefanie Groß und Dominik Brückner vom SWR, Barbara Häbe von arte, Michael André vom WDR. Und die Förderer. Und die Gebrüder Lumière, die das Kino erfunden haben. Und die Natur, die uns alle erfunden hat. Und das Universum. Und so weiter. Damit das hier nicht ausufert, überlasse ich das allerletzte Schlußwort meiner absoluten Lieblingsband, den Guillemots aus England:

When the film credits roll I stay right til the end
Then wander streets with my eyes ablaze
All I really want to do is go straight back and watch again
Play a different person everytime.

Heute ist der letzte Drehtag. In gut fünfzig Minuten werde ich hinunter gehen zur Tiefgarage, um mit meiner Abteilung, also den Mädels, also Regina und Zora und Kaija, ans Set zu fahren, so wie ich es in den letzten sechs Wochen jeden Tag getan habe. Wir sind jetzt komplett in der Versetzung, also in der Nacht. Wir fangen abends um zehn an zu drehen und hören bei Sonnenaufgang auf. Es ist halb sieben, draußen scheint die Sonne, der Frühling ist ausgebrochen. Ich habe mal wieder einen Schwung Handwäsche erledigt und aufs Balkongeländer gehängt, und da wurde mir klar, daß es der letzte war, denn zuhause gibt´s eine Waschmaschine. Zuhause? In Berlin, wo ich im tiefsten Winter weggefahren bin? Es fühlt sich an, als wären wir schon immer hier in Duisburg gewesen, in den Gassen rund um den Dellplatz, mit Blick auf den dreifachen Schornstein der Stadwerke, der nachts knallgrün angeleuchtet ist. Als hätten wir nie etwas anderes getan, als hier zu wohnen und zu drehen und in den freien Stunden zwischendurch herumzulaufen und auf der Straße ständig den Kollegen zu begegnen. Wir sind hier so eine Art kleines Dorf, wir besuchen uns gegenseitig zum Frühstücken und zum Kochen und zum Essen und zum Trinken und sehen uns dann eh gleich wieder am Set, wo sich im Lauf der Drehzeit jeder in so eine Art klar gezeichnete Comicfigur mit zwei oder drei ganz hervorstechenden Eigenschaften verwandelt hat. Arbeit und Freizeit fließen ineinander und sind eins, man hat sich eine alternative Dreh-Persönlichkeit zugelegt, von der man nicht so genau weiß, ob sie mit dem alten Ich überhaupt noch etwas zu tun hat. Ich habe mittlerweile eine unglaubliche Souveränität darin entwickelt, unseren Regie-Opel durch die füchterlich enge Hoteltiefgarage zu rangieren, ich habe mir am Set immer mehr angewöhnt, mehrere Takes unter einer Klappe zu drehen, bei laufender Kamera dazwischenzureden und mir einzelne Sätze und Momente von den Schauspielern nochmal anders zu wünschen, ich laufe ständig mit dem Arafat-Schal herum, den meine große Schwester mir zu Weihnachten geschenkt hat, und stelle mit Interesse fest, daß ich auf einmal Hiphop höre. Wer bin ich, wer war ich, wo fängt das an, wo hört was auf? Warum dauern Umbauten immer so lang, und wieso fällt mir die eine Stunde, die vergeht, während ich fünf Takes drehe, vergleichsweise überhaupt gar nicht auf? Ist noch jemand zugestiegen, und wenn ja, warum? Hat am Ende mein eigenes Drehbuch mich aufgefressen, habe ich unterwegs jegliche Souveränität verloren und mich in eine meiner Filmfiguren verwandelt, um mich dann vom Kopf auf die Füße zu stellen und richtig herum wieder vom Film ausgespuckt zu werden, mitten hinein in den Frühling? Jedenfalls werden wir heute als erstes die letzte große Szene vom Film drehen, in der zwei Freunde sich hauen und wieder vertragen und zwischendurch ein Stuntman die Treppe hinunterfällt. Dann noch ein paar kleinere, unter anderem einen Gastauftritt von Christian Ehrich, des Hauptdarstellers aus „Neun Szenen“, den ich verehre und schätze und liebe. Weil wir in einem Krankenhaus drehen, werden wir am Ende noch nicht mal laut jubeln können. Wir werden uns heimlich hinausschleichen und uns dann bei Sonnenaufgang auf dem Parkplatz um den Hals fallen. Und dann wird es vorbei sein.

Unser Dreh hört so auf, wie er angefangen hat, nämlich mit
kriegsähnlichen Zuständen. Vor fast einem Monat standen wir auf einer
künstlichen Eisfläche am Rand eines echten Sees zwischen nassen
Schauspielern, verwirrten Hunden und fauchenden Nebelmaschinen, aber
alles, was dort entstand, war nur Anfang und Ende einer Szene, deren
Mittelteil jetzt erst gedreht wurde. Auf dem See, wo nur Nebel und Eis
ist, wo Leute einbrechen und sich aus dem Eis wieder hinauskämpfen. So
etwas dreht man nicht in der freien Natur, sondern im Studio, also waren
wir in der „Movie World“ in Bottrop, einem Vergnügungspark, wo man in
filmähnlichen Dekorationen Achterbahn fahren kann, wo aber auch vier
große Studiohallen stehen. Es ist weit und breit das einzige Studio mit
einer sogenannten „Versenkung“ im Boden (man könnte auch einfach „Loch“
dazu sagen), in die man ein Wasserbecken hineinbauen kann. In das
Wasserbecken wurde wiederum ein versenkbareres Bodengitter hineingebaut,
das auf Knopfdruck nach unten saust, selbiges wird mit
Styropor-Eisschollen und anschließend mit Wachs bedeckt, drumherum liegt
die bewährte Kunstharz-Eisfläche von unseren Ausstattern, drüber
schweben drei riesige leuchtende Ballons, die aussehen wie Zeppeline
oder Würste, und schließlich die Krönung: Nebel. Die ganze Halle wird
zugenebelt, bis man keine drei Meter weit mehr gucken kann. Hallo!
Kollegen! Wo seid ihr? Den Kran findet man ziemlich einfach, indem man
den Schienen folgt. Der Kameramann sitzt auf dem Kran und kann auch gar
nicht weg, weil der Kran auf sein Gewicht eingependelt ist und ohne ihn
umkippen würde. Der Kameraassistent sitzt ebenfalls auf dem Kran, weil
die sogenannte Funkschärfe heute kaputt ist. Der Nebel riecht nach
verbrannten Erdbeeren und kratzt im Hals.

So etwas dauert immer länger als gedacht. Man hat genug Zeit, allein im
Nebel spazieren zu gehen oder kurz hinaus an die frische Luft zu gehen,
mit den Kollegen zu scherzen, mit den Schauspielern herumzuspringen oder
einfach in der Sonne zu sitzen. Denn heute ist einer der ersten sonnigen
Tage, und man bekommt eine Ahnung davon, wie schön es sein kann, einen
Film im Sommer zu drehen, wenn es draußen warm ist, wenn alle nach
Drehschluss mit einem Bier auf der LKW-Laderampe sitzen und die ganze
Arbeit sich anfühlt wie ein Urlaub mit Freunden. Mein letzter Film war
so, aber damals haben wir auch nur eine Einstellung pro Tag gedreht.
Heute muss es etwas mehr sein. Wir gehen wieder rein, tauchen ein in den
Nebel, drehen das letzte Bild, den Höhepunkt, zwei Menschen stehen im
Eiswasser, tauchen unter, als der Kran über sie hinwegschwebt, tauchen
wieder auf, dann fällt der dritte auch hinein. Wir drehen. Alles unter
einer Klappe. Die Schauspieler kämpfen. Rein ins Wasser, raus, wieder
rein, und vergesst nicht, es ist eigentlich kälter, als es jetzt ist. Der
Kran fährt hoch und macht einen sogenannten Topshot, verschwindet
irgendwo an der Hallendecke im Nebel und guckt senkrecht runter aufs
Geschehen, die zweite Kamera bleibt nah dabei. Irgendwann ist es aus,
vorbei, drei nasse Menschen liegen erschöpft auf dem Studio-Eis zwischen
Kunstschnee und SFX-Nebel, unter drei leuchtenden Zeppelinen, vor einer
Wand aus grauem Stoff – alles gefälscht, aber der Moment war echt. Ein
riesiger Aufwand für ein kurzes Bild, aber wenn man einmal anfängt,
Aufwand zu betreiben, dann kann man nicht mehr damit aufhören, dann
zieht der Aufwand immer mehr Aufwand nach sich. Viele Filmemacher habe
im Lauf der Jahrzehnte alle möglichen Strategien entwickelt, um dem
ganzen Apparat ein Schnippchen zu schlagen, um schnell und unabhängig
Momente der Wahrheit zu finden. So was würde ich auch gern mal wieder
tun – aber jetzt geht es erst mal um die letzten Tage, um lärmende
Baumaschinen, durchziehende Wolken, Autos, die ihre Position treffen
müssen, elaborierte Kranfahrten aus Gebäudeeingängen bis in den Himmel
hinauf, um einen Treppensturz-Stunt und ein schreiendes Kind. Und
zwischen all dem um die Geschichte, deren letzte Bausteine wir noch
erzählen wollen, bis wir die Bausteine alle beieinander haben und
anfangen können, im Schneideraum den Film zusammenzubauen.
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