Wir kommen dem Durchbruch immer näher

April 1, 2009

Unser Dreh hört so auf, wie er angefangen hat, nämlich mit
kriegsähnlichen Zuständen. Vor fast einem Monat standen wir auf einer
künstlichen Eisfläche am Rand eines echten Sees zwischen nassen
Schauspielern, verwirrten Hunden und fauchenden Nebelmaschinen, aber
alles, was dort entstand, war nur Anfang und Ende einer Szene, deren
Mittelteil jetzt erst gedreht wurde. Auf dem See, wo nur Nebel und Eis
ist, wo Leute einbrechen und sich aus dem Eis wieder hinauskämpfen. So
etwas dreht man nicht in der freien Natur, sondern im Studio, also waren
wir in der „Movie World“ in Bottrop, einem Vergnügungspark, wo man in
filmähnlichen Dekorationen Achterbahn fahren kann, wo aber auch vier
große Studiohallen stehen. Es ist weit und breit das einzige Studio mit
einer sogenannten „Versenkung“ im Boden (man könnte auch einfach „Loch“
dazu sagen), in die man ein Wasserbecken hineinbauen kann. In das
Wasserbecken wurde wiederum ein versenkbareres Bodengitter hineingebaut,
das auf Knopfdruck nach unten saust, selbiges wird mit
Styropor-Eisschollen und anschließend mit Wachs bedeckt, drumherum liegt
die bewährte Kunstharz-Eisfläche von unseren Ausstattern, drüber
schweben drei riesige leuchtende Ballons, die aussehen wie Zeppeline
oder Würste, und schließlich die Krönung: Nebel. Die ganze Halle wird
zugenebelt, bis man keine drei Meter weit mehr gucken kann. Hallo!
Kollegen! Wo seid ihr? Den Kran findet man ziemlich einfach, indem man
den Schienen folgt. Der Kameramann sitzt auf dem Kran und kann auch gar
nicht weg, weil der Kran auf sein Gewicht eingependelt ist und ohne ihn
umkippen würde. Der Kameraassistent sitzt ebenfalls auf dem Kran, weil
die sogenannte Funkschärfe heute kaputt ist. Der Nebel riecht nach
verbrannten Erdbeeren und kratzt im Hals.

So etwas dauert immer länger als gedacht. Man hat genug Zeit, allein im
Nebel spazieren zu gehen oder kurz hinaus an die frische Luft zu gehen,
mit den Kollegen zu scherzen, mit den Schauspielern herumzuspringen oder
einfach in der Sonne zu sitzen. Denn heute ist einer der ersten sonnigen
Tage, und man bekommt eine Ahnung davon, wie schön es sein kann, einen
Film im Sommer zu drehen, wenn es draußen warm ist, wenn alle nach
Drehschluss mit einem Bier auf der LKW-Laderampe sitzen und die ganze
Arbeit sich anfühlt wie ein Urlaub mit Freunden. Mein letzter Film war
so, aber damals haben wir auch nur eine Einstellung pro Tag gedreht.
Heute muss es etwas mehr sein. Wir gehen wieder rein, tauchen ein in den
Nebel, drehen das letzte Bild, den Höhepunkt, zwei Menschen stehen im
Eiswasser, tauchen unter, als der Kran über sie hinwegschwebt, tauchen
wieder auf, dann fällt der dritte auch hinein. Wir drehen. Alles unter
einer Klappe. Die Schauspieler kämpfen. Rein ins Wasser, raus, wieder
rein, und vergesst nicht, es ist eigentlich kälter, als es jetzt ist. Der
Kran fährt hoch und macht einen sogenannten Topshot, verschwindet
irgendwo an der Hallendecke im Nebel und guckt senkrecht runter aufs
Geschehen, die zweite Kamera bleibt nah dabei. Irgendwann ist es aus,
vorbei, drei nasse Menschen liegen erschöpft auf dem Studio-Eis zwischen
Kunstschnee und SFX-Nebel, unter drei leuchtenden Zeppelinen, vor einer
Wand aus grauem Stoff – alles gefälscht, aber der Moment war echt. Ein
riesiger Aufwand für ein kurzes Bild, aber wenn man einmal anfängt,
Aufwand zu betreiben, dann kann man nicht mehr damit aufhören, dann
zieht der Aufwand immer mehr Aufwand nach sich. Viele Filmemacher habe
im Lauf der Jahrzehnte alle möglichen Strategien entwickelt, um dem
ganzen Apparat ein Schnippchen zu schlagen, um schnell und unabhängig
Momente der Wahrheit zu finden. So was würde ich auch gern mal wieder
tun – aber jetzt geht es erst mal um die letzten Tage, um lärmende
Baumaschinen, durchziehende Wolken, Autos, die ihre Position treffen
müssen, elaborierte Kranfahrten aus Gebäudeeingängen bis in den Himmel
hinauf, um einen Treppensturz-Stunt und ein schreiendes Kind. Und
zwischen all dem um die Geschichte, deren letzte Bausteine wir noch
erzählen wollen, bis wir die Bausteine alle beieinander haben und
anfangen können, im Schneideraum den Film zusammenzubauen.
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One Response to “Wir kommen dem Durchbruch immer näher”

  1. sibylle Says:

    vielen dank für alles dietrich! nun hab ich die ruhe um all die schönen dinge zu filtern und dank deines blogs konnte ich mir das auch immer wieder vor augen führen! ich hab die zeit mit euch genossen, drücke diesem film alle daumen, wünsche dir eine grandiose zeit im schneideraum und bin dankbar für die erfahrung! lieben gruß und auf bald großer, langer mensch!


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