Essen.

Juli 15, 2010

Okay. Es geht los. Wir gehen auf Tour. Wir werden jeden Abend in einer anderen Stadt aufschlagen und die Massen begeistern. Als erstes die Massen in Essen. Die Filmstiftung NRW hat sich was sehr schönes ausgedacht und veranstaltet eine Open-Air-Filmreihe mit NRW-geförderten Filmen an beeindruckenden Orten. Heute sind wir dran, auf der Schurenbachhalde in Essen, siebenhundert Plätze, in Sichtweite des Tetraeders, wo wir gedreht haben. Als wir von Berlin ins Ruhrgebiet fahren, herrscht Gluthitze. Ein zufällig anwesender iPhone-Besitzer behauptet, es gäbe eine Unwetterwarnung. Unwetter? Ach was! Wird schon schiefgehen. Trotzdem fragen wir sicherheitshalber nach, ob es einen Ausweichort gibt. Als wir in Essen ankommen, ist es unerträglich schwül. Unsere Produzentin bekommt eine Nachricht von ihren Verwandten: In Mettmann geht gerade schon die Welt unter. Als wir gegen halb sieben essen gehen, und zwar nicht in Essen, sondern in Gelsenkirchen, schiebt sich eine schwarze Wolkenwand über den Himmel und sieht ungefähr so aus wie der Anmarsch der Außerirdischen aus Independence Day. Kurz danach bricht Sturm los, Staubfontänen steigen auf, ein Bauzaun fällt um, es beginnt zu regnen. Bald darauf schüttet es wie aus Eimern.

Wir sitzen zu acht an einem langen Tisch und beratschlagen. Jeder hat irgendein Handy am Ohr. Sagen wir es ab? Verlegen wir es? Können wir das übers Radio publik machen? Wer kennt den Chef vom Dienst bei Eins Live? Nachricht von der Halde: Hier fliegen schon die Dixiklos durcheinander. Na gut. Das ist höhere Gewalt. Wir entschließen uns, die Veranstaltung ins Multiplex nach Gelsenkirchen zu verlegen. Schade eigentlich.

Das Multiplex in Gelsenkirchen ist eines der ältesten Multiplexe in Deutschland, wurde 1991 eröffnet, hat seitdem ein paar Mal den Besitzer gewechselt und wird gerade renoviert. Davor ist ein großer Parkplatz, daneben ein großer Mcdonalds, dahinter Wald. Wir stehen in einer kleinen Gruppen vor der Tür und warten, daß es losgeht. Allerhand Teenager kommen heraus und haben sich eine Vorpremiere des neuen Twilight-Films angesehen. Tobi Krämer ist schon da, unserer Rollstuhlcoach. Er hat sich die Haare ein wenig länger wachsen lassen und sieht jetzt aus wie ein Mädchenschwarm aus dem Twilight-Film, nur besser. Wir haben ihn seit dem Dreh nicht gesehen, er wird heute den Film zum ersten Mal auf der Leinwand sehen. Auch anwesend: Desar Sulejmani und sein fabelhaftes Orchester samt Solopianist. Unter den Orchestermusikern auch Tom Verbeke, der Solo-Cellist, der Annas Solo in Wahrheit gespielt hat. Und Lucas, der Produktionsleiter. Und zwei Leute von der Ausstattung. Und noch mehr. Lauter freudige Wiedersehen. Es ist, als würde man anderthalb Jahre später sich plötzlich wiedersehen und einfach weiterdrehen.

Es geht los. Der Saal ist nicht sehr groß, aber dafür einigermaßen voll. Von den siebenhundert Leuten, die möglicherweise auf die Halde gekommen wären, haben das vermutlich fünfhundert angesichts des Sturms bleiben lassen, und von den übrigen haben doch einige den Weg hierher gefunden. Anna Fantl von der Filmstiftung hält eine kleine Rede und bedauert, daß der Wettergott uns so mißhandelt hat, die Produzenten sagen guten Tag, ich sage hallo, der Film beginnt, ich gehe hinaus.

Der Kinochef zeigt uns den großen Vorführraum, aus dem alle Säle bespielt werden, und zeigt uns stolz seine zwei neuen digitalen Maschinen. Dann stehen wir alle draußen vor der Tür, in der Nacht, die jetzt wieder sommerlich warm ist, als wäre nichts gewesen. Was könnte das für ein netter Open-Air-Kinoabend sein. Wie doof. Wie dämlich. Das findet auch Frau Fantl von der Filmstiftung und schlägt spontan vor: Holen wir es doch einfach nach. Ende August. Top! Ich bin dabei. Handschlag. Prost. Irgendwann kommt Robert Gwisdek dazu, frisch vom Flughafen. Irgendwann ist der Film vorbei, wir gehen rein, und holen alle nach vorn, die mitgemacht haben, und das ist heute, mit dem ganzen Orchester, eine Menge. Das Publikum ist gerührt, angetan, begeistert. Wenn man da so vorn steht und beklatscht wird, werden viele verlegen und fangen dann auch an zu applaudieren. Ganz am Schluß kommt irgendjemand im Publikum auf die Idee, aufzustehen, die anderen machen es ihm nach, und so stehen sich da zwei applaudierende Menschengruppen gegenüber. Welch ein schönes Bild. Davon gibt es kein Bild, aber ein paar andere Bilder werden bald folgen.

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